Unsicherer Auftakt!

[03. Januar 2018, 16:22 Uhr] Am Samstag, den 16. Dezember auf der Einbürgerungsfeier im historischen Kaufhaus wurde dem Zusammen leben e.V. der Integrationspreis der Stadt Freiburg verliehen. Hier ein kleines Video der Stadt Freiburg. Lustigerweise kommt es so rüber, als ob wir alle an dem Tag eingebürgert wurden :P.

Als wir alle nach vorne kamen, um den Preis entgegenzunehmen, hat der Verein anstelle einer Dankesrede einen Wunschteppich ausgebreitet: jeder von uns trug seinen persönlichen Wunsch vor. Die Feier fing um 11 Uhr an… und bis an diesem Morgen, fiel mir bis dato nichts ein. Doch dann dachte ich über meine eigene Geschichte und die unserer Familie nach… ein ganz persönliches Flüchlingsgedicht:

“Unsicherer Auftakt”, Rohfassung, 8 Uhr

Vor längst, luziden Tagen
verlor, verließ, vollzog, volltrennte
ich, vierjähriger Junge,
meinen Boden unter den Füßen,
und war mir bewußt, gewiß, ganz ungewiß:

Zwei-tausend-und-zwei-und-fünfzig Tage nach meiner Geburt,
fand ich, floh ich, bekam ich? verstand ich?
ein neues Unterpfand, unbekanntes Neuland,
mein Neupfandland, dies Deutschland!

Meine Finger-Fühler-Feder-Flügel,
nein, noch immernoch suchenden Wurzeln,
also sturzstolzte, suchsagend, sich fragend,
und hier ich fand, freudvoll, friedvoll,

ganzgütig, liebevolle Humane!
hilfs-helfs-heilenden-Humus,
das, dies, ihr, ich nenne:
Heimat

Noch viele unzählige, mannigfaltige Male,
wünsche ich mir in Zukunft:

einanderreichende, einandergreifende,
gebende, gegenseitig begegnende,
gegenseitig begreifende, befreiend-begatternde,
aufeinander sich schnatternde,
sich lust-leben-lachende Menschen...

... ja das wünsche ich allen einst Verlorenen,
sich jetzt neu Findenden, Flucht-Fliehenden,
jetzt nach vorne, voll Freude, vor Freude, hoffnungsbangvolle Menschen!

JETZT, hier, da und in Zukunft,
eine schöne, neue Welt,
mit euch hier Geborenen,
auf diesen wir uns gefundenen Boden!

Persönliche Intepretation

Wenn das deine Heimat ist, deine Wurzeln hier verbunden sind, du Geschichten über deine Vorfahren aus dem gleichen Dorf oder Verwandten aus anderen Teilen Deutschlands erzählen/berichten kannst, dann entspricht das schon gut meiner Vorstellung von Wurzeln, Vergangenheit, Tradition, Heimat… es ist bewundernswert, etwas das ich erst anfange aufzubauen - denn davor gibt es nichts, nicht hier. Für viele Flüchtlinge - so zumindest erging es mir lange Zeit, gab es dieses Gefühl des Ground Zeros. Dank vieler hilfsbereiter Menschen, der Dorfgemeinde in der unsere Eltern schon seit fast 40 Jahren leben, unglaublicher Organisationen wie dem des Roten Kreuzes und Caritas-Verbandes, dem Staat, dem tollen Bildungssystem, der vielen Möglichkeiten, die uns hier gegeben wurde… dank all derer bin ich hier sehr verbunden. All diese Möglichkeiten, Erfahrungen wünsche ich, dass allen Flüchtlingen, Hilfssuchenden Menschen das gleiche, Ansatzweise oder ähnlich Schönes wiederfährt wie mir!

Selbstsicherer Auftakt

Mein Gedicht selbst ist in Anlehnung meines Lieblingsgedichts “Selbstsicherer Auftakt” aus dem Jahr 1889. Hier im Netz habe ich nur eine englische Version gefunden. Aber zum Glück habe ich das Gedichtband von ihm:

Wenn ich es nicht besser wüsste, dann wäre ich nie darauf gekommen, wie alt dieser Text ist. Wie Arno Holz schon vor über 130 Jahren mit Wörten gespielt hat, sie in die Luft warf und ein neues Kunterbunt erschuf, liegt der meiner Vorstellung, Art und Weise sehr nahe. Jedoch ist mein Hintergrund ein anderer. Oftmals denke ich, dass es meine wurzellosen, sprachfreien, neutralen, Gemisch-Wirr-Warr-anderer Sprachen-Kulturen dieses Wollknäuel in meinen Gedanken, Texten und Sätzen erschafffen.

Sei’s drum. Wenn’s dir gefällt, dann schau hier wieder vorbei ;).

Wünsch dir was, Tai

[03. Januar 2018, 17:52 Uhr]